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Frauenland retten. Heißt Demokratie retten.

Frauenland retten. Heißt Demokratie retten.

Ende 2017 wurde drei Frauenberatungsstellen in Oberösterreich kurzfristig mitgeteilt, dass die jährliche Förderung durch das Frauenreferat des Landes zu 100% eingestellt wird.
Das Beispiel von Oberösterreich ist eines unter vielen seit dem Regierungswechsel in Österreich 2017 und dem gesamteuropäischen Rechtsruck seit spätestens 2015. Als kleines Lehrstück über die schrittweise Zersetzung von Demokratie taugt es jedoch ganz wunderbar.

20. Juli 2018 von Katrin Köppert

Dem Lehrstück zugrunde liegt der intensive Austausch mit Luzenir Caixeta, Geschäftsführerin von maiz, Oona Valarie Serbest, Geschäftsführerin von FIFTITU% und hauptverantwortliche Organisatorin der transkulturellen-frauenpolitischen Allianz Feminismus & Krawall, sowie Gitti Vasicek, Professorin für zeitbasierte Medien an der Kunstuniversität Linz, Vorständin von FIFTITU% und Aktivistin bei Feminismus & Krawall.

Frauenlandretten. So heißt die gemeinsame Kampagne der Organisationen maiz -autonomes zentrum von & für migrantinnen*FIFTITU% -Vernetzungs- und Beratungsstelle für Frauen* in Kunst und Kultur in Oberösterreich und Arge SIE -Beratung und Wohnen für wohnungslose Frauen.
Sie richtet sich gegen die 100%-Streichung der jährlichen Förderung durch das Frauenreferat des Landes Oberösterreich.
In einem Bundesland, in dem der Riesling fließt, sich die Donau gegen Osten wälzt, und der Mühlviertler die ‚Bledlsuppen süffönt‘, griff kurz nachdem die schwarzblaue Koalition in Österreich stand, die ÖVP-Landesrätin Christine Haberlander zusammen mit dem Team des Frauenreferats des Landes Oberösterreich zum Rotstift.

Entgegen der angekündigten 10% Kürzung der Basisfinanzierung aller Organisationen wurden ausgewählte Organisationen zu 100% gekürzt – und zwar die, die sich um Migrant*innen, Künstler*innen und wohnungslose Frauen* kümmern. Das heißt, dass die 10% Kürzung des Budgets des Frauenreferats Oberösterreich seitens der Regierung ausschließlich auf die drei Organisationen maiz, FIFTITU% und Arge SIE weitergegeben wurde. 
Als Begründung wurde angeführt, die Tätigkeit der Frauenberatungsstellen gehöre nach den „neuen Förderkriterien“ nicht mehr zum Kerngeschäft des Frauenreferats.
Weder die neuen Förderkriterien wurden mitgeteilt, noch kenntlich gemacht, was das Kerngeschäft sei oder wie sich das ‚Geschäft’ Frauenberatung in Zeiten von Migration, Frauenarmut und ‚Kulturleistungsgesellschaft’ gestaltet. Das sitzt.
Da trübt sich die Sonne ein – auch über den stadtpolitisch so gut vermarktbaren Prestigeobjekten der Ars Electronica und dem Lentos Kunstmusem in Linz, der Landeshauptstadt.

Unmittelbar hieran ließe sich die Frage anschließen, wie sich die Gründung des Valie Export Centers politisch mit der Entscheidung vereinbaren lässt, Künstler*innen nicht mehr durch die Beratungsangebote der Organisation FIFTITU% zu unterstützen.
Das Valie Export Center ist das internationale Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst am Lentos Kunstmuseum, das sich – wie der Name schon sagt – um die feministische Performancekünstlerin Valie Export dreht.
Was aber, wenn nicht nur Denkmal und Erinnerungsort, stellt ein solches Center dar, wenn (feministische) Künstler*innen durch die Kürzung die Möglichkeit geraubt wird, sich durch Beratungsarbeit ermächtigen zu lassen?
Was ist Demokratie, wenn noch immer Frauen* zur Repräsentation (feministischer Kunst) dienen, nicht aber als (feministische) Künstler*innen in der ‚Kulturleistungsgesellschaft’[1] arbeiten oder als Frauen* von Kunst leben können?
Auf welchen Prämissen beruht Demokratie, wenn dir als Migrant*in durch die Entscheidung, die Förderung von maiz tangiere nicht mehr das Kerngeschäft von Frauenförderung, implizit dein Frausein abgesprochen wird?
Ist es dann überhaupt noch Demokratie, wenn mit der Kürzung der Organisation Arge SIE eine Mauer des Schweigens um das Thema „Frauenarmut“ und die Realität von vielen Frauen* gebaut wird?
Als würden mit dem Verschwinden der Organisation die Konsequenzen des Kapitalismus gebannt sein.
 

Finanzkrise, die Demarkationslinie für eine Politik von rechts

Weder Empörung, noch Polemik helfen dabei, sich diesen Fragen zu widmen. Daher sollen die Hintergründe etwas genauer dargelegt und die Mechanismen einer Demokratie, die von rechts außen regiert wird, beleuchtet werden.
Das Anliegen dabei ist, eine Aussicht darauf zu geben, was geschieht, wenn sich in Deutschland die menschenverachtende Politik der AfD noch weiter institutionalisiert – zum Beispiel auch durch ihre neue parteinahe Stiftung.

Nach längeren Unterhaltungen mit Luzenir Caixeta, Oona Valarie Serbest und Gitti Vasicek fällt zuerst auf, dass die Mittelkürzung in der existenzbedrohenden Weise nicht erst auf die jüngsten Verschiebungen des politischen Diskurses nach rechts zurückzuführen ist.
Die Mittelkürzung kann nicht ohne die längere Geschichte des sukzessiven Einfrierens finanzieller Zuschüsse verstanden werden. Die Finanzkrise 2008/09 lässt sich dabei als der Weichenstellhebel schlechthin begreifen.

Die Organisation maiz ist im Bereich der Unterstützung von Sexarbeiter*innen seit 2009 auf insgesamt 56% gekürzt worden. Das heißt, dass vor der Ankündigung der 100% Kürzung, in diesem Bereich, Ende Februar 2018 eine Halbierung der Subventionierung stattgefunden hatte – eine Zeit, die auf die Regierungsbeteiligung der Grünen/Land und SPÖ/Stadt Linz zurückfällt.
Ähnlich verhält es sich bei FIFTITU%. Dort wurde die Beratungsarbeit auf Bundesebene mit der Begründung eingekürzt, sich nur noch auf das Kerngeschäft – den Gewaltschutz – konzentrieren zu wollen. Verantwortlich hierfür: die SPÖ.
Die aktuellen Streichungen müssen also im größeren Bild der Rekalibrierung des Neoliberalismus seit der Finanzkrise 2008 gesehen werden. Im Zuge dieser haben sich die Parteien über ihre ideologischen Grenzen hinweg auf die Marginalisierung eh schon marginalisierter Positionen verständigt.

Vor diesem Hintergrund ließe sich die Frage neu stellen, ob der Rechtsruck des gesamten Parteienspektrums erst unter dem Druck der Regierungsbeteiligung der FPÖ entstanden ist. Eher scheint in Folge dieser (ausschnitthaften) Betrachtung die Vermutung nahezuliegen, der Ruck sei ökonomisch begründet bzw. ginge auf das unter Druck stehende Gefüge globaler Wirtschaftssysteme von 2008/09 zurück (siehe hierzu auch die Studie von Funke/Schularick/Trebesch 2015[2]).
Es ist uns nicht geholfen, die aktuell prekäre Situation ausschließlich auf den Fakt zurückzuführen, dass eine auf Rassismus, neoliberalem Nationalismus und (Hetero-)Sexismus basierende Partei in der Koalition ist.
Vielmehr ist die Regierungsverantwortung der FPÖ oder auch die Wahl der AfD in den deutschen Bundestag das Ergebnis eines insgesamt sich nach rechts verlagernden politischen Diskurses, der auf den Finanzcrash reagiert.
 

Frauenbefreiung, der hartschalige Samen der Frucht Demokratie.

Diese Feststellung allein nimmt der Wucht, mit der sich der Diskurs auf der realpolitischen Ebene derzeit niederschlägt, nichts weg. Dabei ist nicht nur die Tatsache der Mittelkürzung (erkenntnistheoretisch) interessant, sondern auch das Narrativ, das zur Begründung der Entscheidung etabliert wurde.
So berichten maiz und FIFTITU%, dass ihnen nach mehrmaligem Nachfragen kommuniziert wurde, Migration, Wohnungslosigkeit und Kunst/Kultur seien nicht länger als Kernaufgaben des Frauenreferats zu betrachten.
Sie wären daher, wenn, von den entsprechenden Fachreferaten zu übernehmen.
Wenn du also als Frau* von Migration besonders hart betroffen bist, weil du, anders als deine männlichen Gefährten, nur auf Arbeitsfelder zurückgreifen kannst, die dich gesundheitlich, psychisch und ökonomisch ausbeuten, dann lass dir gesagt sein: Die Finanzierung möglicher Beratungsangebote wird im Referat Integration super aufgehoben sein, weil dort Frauengesundheit und Sexarbeit zentral geförderte Themen sind. Logisch.
Wenn du als obdachlose Frau* sexueller Gewalt ausgesetzt bist, kannst du selbstverständlich davon ausgehen, dich durch auf diese Lage sensibilisierte Organisationen unterstützt zu wissen.
Das Referat Soziales hat die psychosozialen Schwierigkeiten, von denen nur Frauen auf der Straße betroffen sind, in aller Klarheit vor Augen, um ganz genau zu wissen, welche Beratungsangebote finanziert werden muss. Aber sicher.

Ich muss gar nicht weiter ausholen, um aufzeigen zu können, was das Narrativ „Kerngeschäft“ bedient: Es geht um die Reproduktion und Sicherung einer normativen Vorstellung von Frau, die mehr als nur geschlechtlich codiert zu verstehen ist oder, anders ausgedrückt, die mittels der Kategorien race und class aggressiv ins Zentrum weißer bürgerlicher Weiblichkeit zurück überführt wird.
Indem Aspekte von Migration und Armut zum Argument werden, weg von der Frauenförderung hin auf die Fachreferate zu verweisen, findet neben der Ausklammerung von Intersektionalität auch eine Degradierung von Rassismus und Klassismus statt (siehe auch Dietze 2017).
Denn eines wurde in meinen Gesprächen mit den drei Organisationen deutlich: Die Antragsfristen zu den Töpfen der Fachreferate sind verstrichen und die Projektgelder, die dort noch beantragt werden können, entsprechen nur einem Bruchteil der bisherigen Finanzierung. Außerdem können projektbezogene Gelder nicht für die Basisarbeit ausgegeben werden. Frauenbefreiung comes first und sie kommt in Form einer bürokratisch ausgeführten Gewalt gegenüber intersektionalen Herangehensweisen der Beratung und Förderung von Frauen*.

Von Antifeminismus über Anti-Genderismus zu Kulturalismus

Neben der realpolitischen Dimension der Mittelkürzung und des sozialpolitischen Paradigmas der Anti-Intersektionalität, die mit der Entscheidung des Frauenreferats einhergehen, verdichtet sich eine dritte Ebene.
Diese möchte ich als die Weiterführung der mit Antifeminismus begonnenen und mit Anti-Genderismus fortgesetzten Behauptung des „Pseudo“ begreifen. Der Vorwurf des Pseudo bezieht sich hier auf den Begriff von Kunst und Kultur.  

Der Antifeminismus legt dem Feminismus die politische Idee von Gleichheit als „Pseudopolitik“ aus, weil er ‚eigentlich‘ die Abschaffung des Mannes propagiere und somit nicht die Gleichheit der Geschlechter durchsetze.
Der Anti-Genderismus wirft den Gender Studies „Pseudowissenschaft“ vor, also die bloße Behauptung, eine Wissenschaft der Geschlechter zu begründen (siehe auch Hark/Villa 2015).
Der Kulturalismus, der hinter der Entscheidung des Frauenreferats des Landes Oberösterreich steht, hebt die Kunst und Kulturarbeit, die zum Beispiel der Organisation FIFTITU% fördert, als Pseudo-Kunst hervor.
So zumindest lassen sich die in langen und vielen Gesprächen gegenüber maiz und FIFTITU% getroffenen Aussagen durch das Frauenreferat auslegen. Hinter dem geäußerten Anwurf, dass das, was sie als Organisationen beratend unterstützen, keine Kunst sei, steht schlichtweg die Annahme, es gäbe eine richtige Kunst.
Spätestens hier schrillen die Alarmglocken: Der Kunstbegriff wurde im Nationalsozialismus als Hebel für die Durchsetzung von antisemitischer und rassistischer Politik eklatant missbraucht. Ihn jetzt wieder für die Argumentation einer aufs Kerngeschäft fokussierten Frauenförderpolitik ins Felde zu führen, ist ein Skandal. Gleichzeitig wird damit die Doppelbödigkeit des rechtspopulistischen und rechtskonservativen Diskurses deutlich.
Einerseits macht er sich das Argument, Gender sei pseudo-religiöse Weltanschauung zunutze, um postessentialistische Geschlechtervorstellungen abzuwehren und um zu einer natürlichen Ordnung der Geschlechter zurückzukehren.
Andererseits reklamiert er mit der Behauptung, FIFITITU% würde nur Pseudo-Kunst fördern, den Begriff der Kunst für sich. Dahinter steht aber nichts anderes, als der Versuch, Kunst zu essentialisieren und quasi-natürlich nur bestimmten Akteur*innen zuzuweisen.
Frauenförderung bzw. die Verhandlung, wer förderungswürdig ist, wird also zum Vehikel von Kulturalismus.
Und da Kulturalismus nur eine Variante von Rassismus ist, sollte klar sein, mit was für einer Politik wir es unter dem Deckmantel „Demokratie“ zu tun haben.
 

Rettet das Frauenland OÖ

Ein Frauenland zu retten, kann in Reaktion auf die Entscheidung des Landes nichts Anderes bedeuten, als sich die Definition von Feminismus, Chancengleichheit und Frauenförderung nicht von rechts aus den Händen nehmen zu lassen.
Die Kampagne zur „Rettung des Frauenlandes Oberösterreich“ wehrt sich gegen den Versuch, Frauengruppen entlang der Differenzen race und class zu entsolidarisieren. Ganz bewusst setzen sie auf Intersektionalität.
Sie verzichten auch auf die Beantragung jämmerlich kleiner Summen, die aus Projektmitteln finanziert werden können. Sie wollen die Hände freihaben, Öffentlichkeit zu schaffen und Protest zu mobilisieren.
Statt sich ihre Energien durch aufwendige Projektanträge binden zu lassen, setzen sie diese Energien frei, um auf Basis ehrenamtlicher Unterstützung und Spenden in den Diskurs zu gehen. Freilich ließe sich das als Auslagerung staatlicher Verantwortung ins Ehrenamt problematisieren.
Nur scheint die zeitweise Überbrückung zentral, um sichtbar und vor allem auch streitbar zu bleiben. Die Gefahr ist groß, sich dem rechten Duktus und den veränderten Anforderungen anzupassen, um als Organisation überleben zu können.
Nur wenn Ungehorsam und Krawall – zwei für die Organisationen markante Modi des Politisierens – Teil ihrer (auch epistemischen) Praxis bleiben, kann sichergestellt werden, dass die Streichung der Basisfinanzierung noch lange nicht das Ende der Organisationen ist. Noch ist es nicht soweit.

Auf der Website https://frauenlandretten.at/ können Sie sich über die verschiedenen Möglichkeiten der Unterstützung informieren.
 

Erstveröffentlichung am 20. Juli durch

unter: https://www.gwi-boell.de/de/2018/07/20/frauenland-retten-heisst-demokratie-retten


[1] In Anlehnung an den Begriff der Dienstleistungsgesellschaft findet hier die Terminologie der Kulturleistungsgesellschaft Verwendung. Sie will ausdrücken, dass sich das Kunst- und Kultursegment zunehmend zu einer bruttoinlandsproduktrelevanten Dienstleistung entwickeln.
[2] https://voxeu.org/article/political-aftermath-financial-crises-going-ext...

Titelbild: Feministischer Protest – Urheber/in: Violetta Wakolbinger
Illustration: Frauenland retten! – Urheber/in: Silke Müller

Kulturpolitisch